Ausstellungseröffnung, Text: Melike Bilir
„Mehr Licht” sagte Goethe auf seinem Sterbebett. Als Künstler und Wissenschaftler, trieb ihn die Sehnsucht nach mehr Licht ein Leben lang. Nicht nur während der Zeit der Romantik, sondern zu allen Zeiten suchten Pharaon:innen und Astronom:innen, Philosoph:innen und Physiker:innen, Priester:innen und Maler:innen nach Methoden, Licht zu begreifen und ihm mächtig zu werden. Die Kulturgeschichte ist reich an Mythen und Legenden, Theorien und Erfindungen. Sie alle handeln vom Wesen des Lichtes, da es Teil unserer Erfahrungen und unseres Bewusstseins ist.
Licht ist allumfassend und berührt alle Bereiche des menschlichen Lebens. Systematisch erfassten als Erste die Philosophen der Antike Licht in ihren Theorien. Fast 1000 Jahre war die platonische Lehre, die vor allem die geistig-innerliche Dimension des Lichts betonte, Basis für alle nachfolgenden Lichtkonzepte – von der Optik über Architektur bis hin zur Philosophie. Mit dem Beginn der Neuzeit wurde sie verdrängt und damit dem Licht seine geistige Bezugsgröße entzogen. Dieser Bruch kennzeichnet einen entscheidenden Moment in der Geschichte des Lichtes und ist die Grundlage für unser heutiges Verständnis.
Im 21. Jahrhundert wird der Charakter des Lichtes neu diskutiert. Licht ist lebens- und damit kulturgestaltend. Elektrisches Licht ist die Grundlage unseres modernen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. Dabei steht die Bedeutung und Wirkung des künstlichen Lichts auf Mensch, Ästhetik und Raum zur Debatte.
Und hier kommt Luftwerk ins Spiel: Luftwerk (Petra Bachmaier & Sean Gallero) erforschen Licht, Farbe und Wahrnehmung in ihren Installationen. Seit der Gründung im Jahr 2007 hat Luftwerk ein umfangreiches Werk geschaffen, das von ortsspezifischen Installationen bis hin zu experimentellen Projekten reicht. Petra Bachmaier, hat einen Master of Arts von der HfbK in Hamburg und einen Bachelor of Fine Arts von der School of the Art Institute in Chicago (SAIC). Sean Gallero, studierte am Lehman College in New York Kunst und Geisteswissenschaften. Er setzte sein Studium an der School of the Art Institute Chicago (SAIC) fort, wo er im Jahr 2000 seine Zusammenarbeit mit Bachmaier begann.
Licht und Farbe sind die wichtigsten Elemente in den Arbeiten von Luftwerk. Ihr Interesse gilt der Macht des Lichts als entscheidendes Element des Sehens, dessen dynamische Beziehung zur Farbwahrnehmung erforscht wird. Durch den Einsatz verschiedener Modalitäten - wie unter anderem Projektion von Videos, Schattenwurf - integrieren sie Licht in jedes Projekt, um seine flüchtige und sich verändernde Natur zu erforschen. Im Wesentlichen schafft Luftwerk visuelle Atmosphären durch den Einsatz von Licht und manipuliert die Aufmerksamkeit der Betrachter mit leuchtenden Farben, um faszinierende Erfahrungen zu schaffen. Petra und Sean beschreiben, dass bei jedem Projekt von Luftwerk die Farbe der Schlüssel und das Licht der Kern ist. Die Kombination von Licht und Farbe verleiht ihrer Arbeit eine dynamische Ebene, die die Wahrnehmung des Publikums verändert.
Was ich außerdem hervorheben möchte: Trotz vielen Neuerungen schleppt LICHT diese ganze Tradition von Mystik und Symbolik mit sich herum. Dauernd hatte es etwas zu repräsentieren: Christus, göttliche Inspiration, Wahrheit, Aufklärung, sogar den Sozialismus. Generell wurde Licht immer vor allem dazu benutzt, andere Dinge zu enthüllen. Bei Luftwerk geht es darum, dass sich das Licht selbst offenlegt als Licht. Das Licht symbolisiert nichts anderes. Es ist, was es ist. Befreit von Traditionen, Mystik und Symbolik behandeln sie das Licht als Materie - als Material.
SCENOGRAFIE OF SPACE
Eine Inspiration für diese Installation SCENOGRAFIE OF SPACE, die bildende Kunst & Film zusammenbringt, war Hans Richters Film „Rhythmus 21“. Hans Richter war ein bedeutender deutscher Künstler und Filmemacher des 20. Jahrhunderts, der für seine avantgardistischen Werke bekannt war. Einer seiner bemerkenswerten Filme, "Rhythmus 21" aus dem Jahr 1921 gilt als einer der frühesten abstrakten Filme überhaupt und wird als „Schlüsselfilm der Moderne“ bezeichnet. In diesem Film erforschte Richter die Darstellung von abstrakten Formen, Bewegungen und Rhythmen. Der Film besteht aus tricktechnisch bewegten geometrischen Formen und Mustern. Schwarze und weiße Quadrate erscheinen in Auf- und Abblenden auf der Leinwand. Sie scheinen sich manchmal von einer Seite des Bildfeldes auf die andere zu bewegen, manchmal vom Vorder- in den Hintergrund.
Rhythmus wurde in Schwarz-Weiß gedreht und dauert etwa 3 Minuten - wie auch die Installation Scenografie of Space, die hier im Loop gezeigt wird. "Rhythmus" hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf viele nachfolgende Künstler:innen und Filmemacher:innen und diente wie bereits gesagt auch als Inspiration für Luftwerk. Die künstlerische Praxis von Luftwerk mit ihrem Schwerpunkt auf Licht, Farbe und choreografierten Projektionen ist konzeptionell verwandt mit Richters Erforschung abstrakter Formen und Rhythmen. Mit ihrer Arbeit erweitern Luftwerk Richters Erbe und schlagen eine Brücke zwischen Film und bildender Kunst. Durch die Einbeziehung von Lichtprojektionen und Techniken (bei Luftwerk: Motoren / Stoffbahnen) erweitern sie die Grenzen des Mediums und entwickeln eine einzigartige Bildsprache, indem sie die Möglichkeiten von Film und bildender Kunst durch ihren innovativen und grenzüberschreitenden Ansatz erweitern.
Und wenn wir bei Wahrnehmung sind, sind wir auch gleich im NOW unserem Thema des Kurzfilm Festivals Hamburg. Ein erweiterter Begriff medialer Kunst bindet auch den Einsatz von Licht und Bewegung als künstlerisches Material ein. Bereits in den 50er Jahren beschäftigten sich Künstler:innen der Gruppe ZERO wie Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker mit Licht als gestalterischem Mittel. Ihr Anliegen war es, Malerei auf ihre Bedingungen, nämlich insbesondere das Licht als zugrunde liegendes Element, zurückzuführen. Dabei verließen sie allerdings die Technik der Malerei mit Farbe und Leinwand und gestalteten räumliche Werke, die Schatten warfen oder Reflexionen hervorriefen und Bewegung in ihr Konzept einbezogen. Es entstanden Arbeiten, deren Eindruck sich je nach Betrachterstandpunkt verändert. Heinz Mack betrachtet nicht die Farbe oder andere formale Komponenten, sondern deren räumliche Organisation und Bewegung als die eigentliche Form künstlerischer Arbeit.
Auch Scenografie of Space von Luftwerk arbeitet als raumbezogenes Kunstwerk mit der Einbindung einer variablen Betrachterperspektive. Während der:die die Besucher:in den Raum durchschreitet, gibt es keinen festgelegten Betrachterstandpunkt, der eine optimale Wahrnehmungsperspektive vorgibt. Die Bewegung und Orientierung im Raum ist dabei ein beabsichtigtes Element der Besuchererfahrung.
-- Melike Bilir --
SCENOGRAPHY OF SPACE
Open Space @ Festivalzentrum Post
Täglich ab 11 Uhr geöffnet, geführte Tour am Freitag 13 Uhr